
Manuelle Einstellungen von Zeit, Blende, ISO ist an den meisten Kameras möglich. Die Belichtungsanzeige von -3 bis +3 Blendenstufen erleichert die gezielte Über- und Unterbelichtung.
Manuelle Einstellungen werden in der Fotografie vor allem von Profis geschätzt. Das hören wir immer wieder, auch in Videos und Anleitungen zum Thema Fotografie. Und es vermittelt uns den Eindruck, dass man mit jahrelanger Übung oder in ganz speziellen Situationen solche „Geheimtricks“ anwenden kann, und dann bessere Ergebnisse erzielt. Überraschenderweise ist das bei den meisten von uns aber nicht so: Wir erhalten im Automatik-Modus doch oft die besten Bilder. Warum also sollten wir das Risiko eingehen, gelungene Aufnahmen durch das manuelle Eingreifen zu gefährden? Was bringen manuelle Einstellungen dem Otto-Normal-Fotografen? Und lohnt es, sich damit länger zu beschäftigen? Die Antworten dazu gibt es hier.
Alle modernen Kameras haben heute Automatik-Funktionen. Nicht nur eine, sondern meist ganz viele. Oft sind die schon auf spezielle Situationen zu geschnitten, wie Porträts, Landschaftsaufnahmen oder Langzeitbelichtungen. Schon diesen Umweg, weg von der Standard-Vollautomatikzu einer speziellen Automatik zum Beispiel für Porträts, mögen viele Fotografen nicht. Warum erkennt die Kamera das nicht von alleine und wählt den richtigen Modus? Einige Kameras, auch in Smartphones, tun das mittlerweile.
Wenn wir aber schon selbst erkennen, dass eine Situation besondere Maßnahmen erfordert, warum nehmen wir dann die Sache nicht gleich ganz in die Hand? Eine schlechte Idee ist das nicht. Denn oft erkennen wir erst nach einer Aufnahme, dass der normale Automatik-Modus mit einer Aufnahmesituation überfordert ist. Und dann können wir statt den entsprechenden Automatik-Modus zu wählen, auch gleich die Einstellungen manuell vornehmen.

Mit Magic Lantern bieten selbst ältere Canon-Modelle professionelle Einstellmöglichkeiten wie Fokus-Peaking (rote Schraffur) und Zebra für Überbelichtung.
Vorteile der manuellen Einstellungen
In der Regel gilt, dass jede Kamera diese Situationen schneller erkennt und schneller die Anpassungen vornimmt, als ein manuell arbeitender Fotograf. Wenn es also auf Schnelligkeit ankommt, dann haben wir als Fotografen gegenüber der Automatik oft einen schweren Stand. Wer Sportaufnahmen macht oder schnelle Autos fotografiert, der kann auf manuelle Einstellungen nur dann umsteigen, wenn er viel Übung hat.
Andererseits spielt für viele ambitionierte Fotografen die Geschwindigkeit nicht die größte Rolle. Zumindest ist sie uns nicht wichtiger, als die Bildqualität. Ein Porträt wird oft nur besser, wenn wir mehr Zeit aufwenden. Eine Landschaft kann uns nicht davon laufen und lässt uns Zeit, auch zum Experimentieren. Auch Produktfotos, Stilleben, Makro-Aufnahmen und Langzeitbelichtungen verlangen keine blitzschnellen Einstellungen. Sondern eher etwas Erfahrung, wie man zu den besten Ergebnissen kommt.

Touch-Display mit allen Einstellmöglichkeiten auf einen Blick: Ideale Voraussetzungen für manuelle Arbeit.
M-Modus mit modernen Kameras
Wer einmal manuell fotografieren gelernt und geübt hat, der kann mit jeder Kamera in diesen „Sicherheits-Modus” zurückkehren – egal wie komplex die Bedienung und manche Automatikfunktionen sein mögen. Und bei fast allen Automatikfunktionen ist eine Korrektur und Anpassung mühsamer, als gleich manuell einzustellen.
Dazu kommt, dass gerade moderne Kameras wie die Canon EOS M6 viele Hilfsfunktionen haben, die die manuelle Arbeit erleichtern. So erlaubt die sogenannte Zebra-Einstellung, überbelichtete Bereiche zu erkennen und die Belichtung anzupassen. Und das sogenannte Fokus-Peaking erleichtert das manuelle scharfstellen.

Das Histogramm (rechts oben) gibt ebenfalls Aufschluss über die Belichtung.
Was können wir manuell wählen?
Da ist zunächst die manuelle Scharfstellung, die aber selbst erklärend ist und die wir hier erst einmal außen vor lassen.
Wer noch eineUralt-Kamera von Eltern oder Großeltern zum Experimentieren benutzen konnte, der hat die Zusammenhänge am einfachsten gelernt. Die Verschlusszeit, die Blendenöffnung und die „Filmempfindlichkeit” ISO (die es auch in modernen Kameras ohne Film gibt) beeinflussen die Belichtung eines Bildes. Grob vereinfacht gesagt, legen alle drei Einstellungen fest, wieviel Licht wir in die Kamera lassen. Und wenn wir an einer Stelle mehr hereinlassen (mit einer längeren Belichtungszeit) dann müssen wir an einer anderen Stelle weniger hereinlassen (geringere Blendenöffnung oder geringere Filmempfindlichkeit).
Großer Vorteil der modernen digitalen Kameras: Wir belichten keine teuren Filme, sondern können ohne weitere Kosten dutzende oder hunderte von Bildern machen, um das auszuprobieren. Damit lernen wir den Zusammenhang, aber oft erkennen wir noch nicht, welche Einstellung dieser drei Faktoren für eine spezielle Aufnahme die wichtigste ist.

Das Fokus-Peaking (hier an der Canon EOS M6) für die Schrafeinstellung hilft auch bei schlechten Lichtverhältnissen.

Fürs manuelle Fokussieren ebenfalls hilfreich: Dier Lupen-Ausschnitt, hier 6fach vergrößert.
Was hat Vorrang?
Die Auswahl des wichtigsten Faktors Zeit, Blende oder ISO ist die wichtigste Entscheidung.
- Die Verschlusszeit entscheidet, ob eine Bewegung scharf oder unscharf abgelichtet wird. Sie ist also nur bei bewegten Motiven wichtig.
- Die Blendenöffnung entscheidet, wie groß der Schärfebereich eines Bildes ist. Eine offene Blende bildet nur den scharf eingestellten Gegenstand scharf ab, eine kleine Blendenöffnung kann dafür sorgen, dass alles im Bild, nah und fern, scharf ist.
- Und die ISO-Einstellung, die „Filmempfindlichkeit erlaubt bei hohen Werten auch Aufnahmen bei wenig Licht. Um den Preis, dass die gesamte Aufnahme grobkörniger und weniger scharf wirkt.

Der ISO-Wert lässt sich ebenfalls manuell einstellen. Als „Joker“ kann man auch die Auto-Einstellung auswählen, dann hat man für Zeit und Blende viele Freiheiten.
Die Automatik lügt nicht – aber sie irrt sich
Mit einer perfekten Technik bräuchten wir die manuellen Eingriffe überhaupt nicht. Aber egal wieviel Möglichkeiten zur Belichtungsmessung einer Kamera auch bietet, im Prinzip will sie erreichen, dass ein durchschnittliches Bild einen durchschnittlichen Grauwert wiedergibt. Damit ergeben große weiße Flächen oft ein zu dunkles Bild, große schwarze Flächen ein zu helles. Denn die Kameraautomatik weiß, dass das durchschnittliche Bild einen durchschnittlichen Grauwert haben sollte.
Welches Motiv wir gerade aufnehmen, erkennt eine Kamera nur bedingt und kann oft nur unzureichend die Belichtung anpassen.

Die roten Kanten beim Fokus Peaking sind nicht bei jedem Motiv so klar erkennbar.
Schritt für Schritt
Auch wir müssen uns der richtigen Belichtung oft schrittweise nähern. Dabei bedeutet manuelle Belichtung nicht, dass wir ohne jeden Anhaltspunkt Einstellungen vornehmen. Ein Belichtungsmesser ist in jedem Fall hilfreich. Kameras zeigen aber auch zu manuellen Einstellungen, ob das Bild mit den aktuellen Einstellungen über- oder unterbelichtet ist.
Statt über verschiedene Umwege die Automatik zu beeinflussen, ist es oft sinnvoller, eigene Prioritäten zu setzen und gleich alles manuell festzulegen. Klassisches Beispiel: Die Schönwetter-Aufnahme bei gutem Licht liefert eine Belichtung mit Blende 8, Verschlusszeit 1/125 Sekunde und einem ISO-Wert 100. Nun wollen wir vielleicht gerade ein Porträt machen vor einer weißen Hauswand. Das Ergebnis: Die Hauswand ist grau, der Porträtierte zu dunkel, alles ist gleichmäßig scharf abgebildet. Und niemand erkennt, ob es uns jetzt vor allem auf die Hauswand oder die Person ankam.

Auch moderne Kameras wie hier die Lumix G81 bieten Einstellhilfen wie Zebra und Fokus-Peaking.
Ausgleichende Maßnahmen
Wenn Du um die Zusammenhänge weißt, dann erkennst Du gleich, welche anderen Belichtungskombinationen die gleiche Belichtung ergeben würden: Immer wenn Du an einer Stelle um einen Wert heraufgehst, musst Du an anderer Stelle eine Stufe runter. Folgende Werte ergeben also die gleiche „Lichtmenge” bei gleichem ISO-Wert:
Blende 8 – Zeit 1/125 | 5,6 – 1/250 | 4 – 1/500 | 2,8 – 1/1000
Setzen wir den ISO Wert herauf oder herab, so verschieben sich auch diese Kombinationen jeweils um einen Wert, also zum Beispiel von 8-1/125 auf 5,6-1/125.

Auch am Smartphone sind manuelle Einstellungen möglich, hier mit der Moment-App.
Bei unserem Beispiel mit dem Porträt vor der Hauswand zum Beispiel wäre eine geringe Tiefenschärfe die erste Priorität, um die Person hervorzuheben. Von den gleichwertigen Kombinationen wäre also am ehesten die 2,8-1/1000 passend. Damit haben wir das Problem Schärfe gelöst, aber nicht die falsche Belichtung. Die korrigieren wir mit 2,8-1/500 oder 2,8-1/250.
Andere Belichtungspaare suchen wir aus, wenn wir schnelle Bewegungen mit einer kurzen Verschlusszeit einfrieren wollen. Oder im Gegenteil mit einer langen Belichtungszeit Bewegungsunschärfe erzeugen wollen. Den ISO-Wert dagegen packen wir als erstes an, wenn die Lichtverhältnisse schlecht sind. Dann steigern wir die Lichtempfindlichkeit auf 800 oder 1600 und passen dann erst die anderen Werte an. Moderne Kameras wie die Lumix G81 erleichtern mit ihrem Touchscreen schnelle Einstellungen.
Korrekt belichtet?
Ob die Belichtung unseren Vorstellungen entspricht, das sehen wir natürlich nach den ersten Aufnahmen. Um einen ersten Anhaltspunkt zu haben, nutzen wir – natürlich auch wieder eine Automatik. Wir können im P-Modus eine Zeit-Blenden-ISO-Kombination anzeigen lassen. Noch einfacher ist es, die Über- und Unterbelichtungsanzeige zu nutzen. Dann können wir völlig frei den ersten Wert so festsetzen, wie er uns wichtig ist: Also zum Beispiel eine schnelle Belichtungszeit von 1/250. Mit dem Blenden- und dem ISO-Wert steuern wir nun die Anzeige gegen den Null-Punkt, also zu einer korrekten Belichtung. Und dann können wir uns entscheiden, ob wir bewusst Unter- oder Überbelichten, um unsere individuelle Darstellung uz erreichen.

Ältere manuelle Objektive erleichtern fotmals die manuellen Einstellungen.
Ausprobieren!
Mein Rat lautet, diese manuellen Einstellungen auf jeden Fall auszuprobieren. Weil es Spass macht, jede kleinste Nuance selbst in der Hand zu haben. Weil man leichter die Zusammenhänge von Zeit, Blende und ISO erkennt und verinnerlicht. Und wer auf den Geschmack gekommen ist, der wird auch die Schärfe manuell einstellen wollen. Am besten geht das mit alten, manuellen Objektiven, die man billig gebraucht kaufen kann.
Ich betrachte das als Fortbildung, als eine Fortsetzung des Übens und Kennenlernens von Material und Variationen. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch weiterhin mit verschiedenen Automatik-Einstellungen arbeiten. Sie sind schneller und bequemer und wir müssen nicht jedes Bild fein tunen. Wer sich einmal darauf eingelassen hat, der entdeckt im Fotografen-Alltag immer öfter Situationen, in denen er die Automatik abschaltet und die Dinge lieber selbst in die Hand nimmt.
Anwendungsbeispiele

Gezielt überbelichten, geringe Tiefenschärfe – das geht manuell am besten.

Lange Belichtungszeiten, hohe Blendenwert, geringe ISO für wenig Bildrauschen: manuell und mit Stativ kein Problem.

Mischlicht mit gezielter Unterbelichtung.

Geringe Tiefenschärfe durch offene Blende, hoher ISO-Wert.