Lichtstarke Festbrennweiten haben für Videofilmer einen fast noch höheren Stellenwert als für Fotografen. Alle wollen den sogenannten ‘cinematic look’. Der ist vor allem auch gekennzeichnet durch einen sehr engen Schärfebereich, der das Motiv freistellt, den Hintergrund verschwimmen lässt und ein schönes Bokeh erlaubt. Aber ist es mit der Anschaffung von lichtstarker Objektiven mit fester Brennweite schon getan?
Der Kauf lichtstarker Festbrennweiten für Video, sogenannter Prime Lenses, klingt zunächst verlockend und einfach. Das berühmte ‘Nifty-Fifty’ zum Beispiel, also eine sogenannte Normalbrennweite mit 50 mm und einer offenen Blende von 1,8 ist für Preise zwischen 100 und 200 zu haben. Wer also eine (teure) Vollformat-DSLR besitzt, der kann an diesem Ende schon sparen.
Achtung Brennweitenverlängerung
Kniffliger wird die Sache für all diejenigen, die mit APS-C-Kameras oder Micro-Four-Thirds Kameras aufnehmen. Und das sind ziemlich viele – nicht ohne Grund. Diese Kameras sind wesentlich preiswerter als die Vollformat-Kameras mit dem großen Sensor. Und sie sind vergleichsweise klein und handlich, so dass man sie leicht überall hin mitnehmen kann. Sogar mit Wechselobjektiven und anderem Zubehör.
Eine Eigenart aber erschwert die Anschaffung der passenden Linsen. Der sogenannte Cropfaktor bei APS-C-Linsen beträgt in der Regel etwa 1,6. Das bedeutet, die normale Brennweite einer 50-mm-Linse ist an diesen Kameras nicht 50mm, sondern 80mm. Das macht aus einer Normal-Brennweite ein leichtes Tele.
Hinzu kommt, dass bei einer 4K-Auflösung der Crop-Faktor noch größer ist. Bei einer Canon EOS M 50 steigt er ja nach Einstellung auf bis zu 2,2. Und mit einer 110-mm-Brennweite sind die Einsatzbereich des 50mm-Objektivs schon etwas eingeschränkt. Ähnlich ist es bei den MFT-Kameras, wo die Verlängerung 2,0 beträgt.
Gefragt sind Weitwinkel
Das bedeutet, dass man sich als Videofilmer für die meisten Aufnahmen nach lichtstarken Festbrennweiten für Video im Bereich zwischen 11mm und 25mm umsehen muss. Und hier sind die wirklich billigen Angebote dünn gesät. Ein paar Beispiele habe ich schon vorgestellt, zum Beispiel das Canon EF-M 22mm F2.0 oder das Panasonic Lumix G 25mm F1.7. Die Markenobjektive großer Hersteller sind in diesem Bereich aber relativ teuer.
Eine gute Ausweichmöglichkeit sind bei Videoaufnahmen generell sogenannte Vintage-Objektive. Die älteren manuellen Objektive (es gibt jetzt auch immer mehr neue manuelle Objektive) lassen sich leicht mit einem preiswerten Adapter an moderne Kameras anpassen.
Mehr Licht, mehr Weitwinkel
Wer bei den Arbeitern nicht die billigste Version wählt, der erhält mit den sogenannten Speedboostern (wie dem Viltrox Speedbooster für Canon oder für MFT) sogar die Möglichkeit, die Brennweite wieder zu verringern und die Blendenöffnung zu vergrößern. Der dabei oft zwingende Wegfall fast aller Automatikfunktionen ist für Videofilmer nicht so tragisch. Denn mit manuellen Einstellungen und einem festen Standpunkt auf einem Stativ kommt man in den meisten Fällen sehr gut zurecht.
Zunehmend findet man auch neue Objektive, die manuell und lichtstark sind. Hier kann man auch in den unteren Brennweitenbereichen ein Schnäppchen machen. Ich habe zum Beispiel das 25mm F1.7 von 7Artisans für die Canon EOS M gekauft – für deutlich unter 100 Euro (und in diesem Artikel beschrieben).
Doch bevor man jetzt nach passenden Ergänzungen für seine Kameras sucht, sollte man praktische Erfahrungen sammeln. Eine gute und preiswerte Möglichkeit ist es, sich für seine alten manuellen Objektive einen preiswerten Objektiv-Adapter zu kaufen. In der Praxis erweist sich der zunächst so verlockende enge Schärfebereich auch oft als schwierig.
Mit einer einfachen App zur Berechnung der Scärfenstiefe kannst Du erkennen, in welcher Entfernung der scharfe Bereich noch ausreichend für Deine Zwecke ist. Beispiel für das Lumix 25mm F1.7.
Das Spiel mit der Schärfe
Das fängt damit an, dass ein Fokussieren über das Display oder den Sucher schon grenzwertig sein kann, wenn man den genauen Verlauf des Schärfebereichs kontrollieren möchte. Hilfreich ist hier auf jeden Fall eine Fokussierhilfe (MF-Peaking bei Canon). Sie erkennt die Kantenschärfe und markiert diese farbig. So erkennt man genau, welche Teilbereiche scharf sind.
Dass scharf nicht gleich scharf ist, das erkennt man schnell bei einer eigentlich noch recht weitwinkligen Brennweite wie 25mm F.17 an der Canon EOS M. Oft sieht man erst mit der Lupenfunktion im Display, wo genau Bildbereiche richtig scharf abgebildet sind. Die Canon EOS M6 erlaubt hier gute Einstellarbeiten. Trotzdem verlangt das Fokussieren bei ganz geöffneter Blende noch sehr viel Fingerspitzengefühl.
…und eine Lupenfunktion.Und sobald man in den Videomodus schaltet, verliert man diese Lupenfunktion und muss sich auf die Fokussierhilfe bei normaler Ansicht begnügen. Die Lumix G85 als MFT-Kamera erlaubt generell eine Lupenfunktion, deren Stärke man einstellen kann. Und die Fokussierhilfe umfasst MF-Lupe und ein Fokus-Peaking, das ich allerdings als nicht so ausgeprägt empfinde, wie das bei Canon.
Generell ist das scharf stellen – auch im manuellen Modus mit Unterstützung nicht ganz einfach. Selbst wenn die Kamera unebeglich auf einem Stativ steht, genügen schon minimale Bewegungen zum Beispiel eines Interviewpartners um aus dem Fokus zu geraten. Einzige Abhilfe schafft das Abblenden. Aber das ist auch gut möglich, ohne das schöne Bokeh zu verlieren.
Vignettierung bei Offenblende
Eine zweite Eigenart, die man im Auge behalten sollte, ist die Vignettierung. Gerade bei voller Blendenöffnung machen sich bei den meisten Objektiven Abschattungen in den Ecken bemerkbar. Während man das bei Fotos in der Nachbearbeitung leicht ausgleichen kann, ist diese Abhilfe bei Videos etwas schwieriger. Bei Final Cut muss man zum Beispiel mit Formmasken arbeiten.
Generell ist je nach Thema und Motiv eine leichte Vignettierung kein Drama. In etlichen Situationen wird diese ‘unkorrekte’ Belichtung aber durchaus als störend angesehen.
Mein Fazit
In meinen Augen überwiegen die gestalterischen Möglichkeiten die Nachteile der lichtstarken Festbrennweiten für Videoaufnahmen. Wer allerdings den Komfort zahlreicher Automatikfunktionen genießen will und die Aufnahmetechnik mit dem Ablauf beim Fotografieren vergleicht, der sollte erst ein paar Versuche machen um festzustellen, ob ihm diese Arbeitsweise liegt.